Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes

Seit dem BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19[1] gibt es ein Wahlrecht für die Steuerpflichtigen. Denn anstelle des typisierten AfA-Satzes nach § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG mit i.d.R. 2 % p.a. mit 50 Jahren Abschreibungszeitraum bei Wohnimmobilien oder mit 3 % p.a. mit ca. 33 Jahren bei anderen Nutzungen im Betriebsvermögen kann der Nachweis einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer anhand eines Gutachtens gem. Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV)[2] erbracht werden.

Eine vereinfachte Berechnung der tatsächlichen Nutzungsdauer gem. ImmoWertV ist für Sie auch als Komfortfunktion auch zum Ausdrucken im Abonnement enthalten, so dass Sie selbst vorab überprüfen können, ob sich bei Ihrer Immobilie die Beauftragung eines Gutachtens für Sie wirtschaftlich rentiert oder nicht.

Hierbei gilt der Grundsatz:

Je niedriger die tatsächliche Nutzungsdauer gem. unserem Berechnungstool im Vergleich zu den typisierten Abschreibungszeiträumen von entweder 50 oder von ca. 33 Jahren ausfällt,

desto früher übersteigen Ihre daraus resultierenden Steuervorteile die dafür aufzuwendenden Gutachterkosten und umgekehrt analog.

Durch das BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 wurden die bisher von der Finanzverwaltung unterschiedlich ausgelegten Begriffe „tatsächliche Nutzungsdauer“ und „Restnutzungsdauer“ gleichgestellt. Demzufolge bezieht sich der beim Immobilienkauf maßgebliche Zeitraum für die Absetzung für Abnutzung auf den tatsächlichen Zustand des Objekts am jeweiligen Kaufzeitpunkt – einschließlich bereits durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen sowie ggf. unter Einbeziehung anschaffungsnaher Herstellungskosten.

Diese Gleichstellung führt dazu, dass die tatsächliche Nutzungsdauer nicht mehr wie bisher zwangsläufig wie beim typisierten AfA-Satz bei jedem Eigentümerwechsel von neuem beginnt, entweder mit 50 Jahren (= 2 % Abschreibung p.a.) bei Wohnobjekten oder mit ca. 33 Jahren (= 3 % Abschreibung p.a.) bei anderen Nutzungen im Betriebsvermögen.

Dieser Nachweis anhand eines Gutachtens gem. ImmoWertV ist dann vom FA anzuerkennen. Es sei denn, dass im Gutachten wesentliche Abweichungen im Ergebnis, signifikante Ungereimtheiten bei den Objektangaben oder sonstige grobe Fehler gegeben sind, die aber „im Einzelnen“ vom jeweiligen FA nachvollziehbar und nachprüfbar zu konkretisieren sind (BFH v. 28.07.2021 – IX R 25/19 BFH/NV 2022, 108, BeckRS 2021, 36809, Rn. 20 und 26).

Durch das BMF-Schreiben vom 22. 02. 2023 (GZ: IV C 3 - S 2196/22/10006 :005; DOK: 2023/0158670) wurde von der Finanzverwaltung gem. Rz. 24 vorgegeben, dass ein vereinfachter Nachweis der tatsächlichen Nutzungsdauer anhand der Anlagen 1 und 2 ImmoWertV nicht ausreichend und dass dafür ein Gutachten erforderlich ist.

In einem derartigen Gutachten ist gem. Rz. 17 u.a. auf den technischen Verschleiß, auf die wirtschaftliche Entwertung und, soweit jeweils vorhanden, auf rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können, sowie auf eine mögliche Nachnutzung und deren Auswirkungen auf die Nutzungsdauer einzugehen (siehe Rz. 24).

Zudem wurde gem. Rz. 22 dieses BMF-Schreibens der Kreis für eine derartige Gutachtenerstattung infrage kommender Personen auf öffentlich bestellte und vereidigte sowie auf nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierte Sachverständige für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken eingeschränkt.

Ein von den o.a. Vorgaben abweichendes, spezielles Bausubstanzgutachten mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen) ist gem. dem BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 nicht erforderlich, auch wenn es dennoch u.U. hilfreiche Anhaltspunkte zur Beurteilung im jeweiligen Einzelfall enthalten könnte (siehe Rz. 23).

Modernisierungs­elemente
Bewertung
Je kürzer die jeweils durchgeführte Einzelmaßnahme zeitlich zurückliegt, desto höher sind die jeweils einzutragenden Punkte und umgekehrt analog.
Überschlägiger Anhalt in Anlehnung an die BMF-Arbeitshilfe:
< 10 Jahre volle Punkte
< 20 Jahre 50 % der Punkte
< 40 Jahre 25 % der Punkte
< 60 Jahre 10 % der Punkte
Eine pauschale und stets konstante Festsetzung ist in der Verkehrswertermittlung nicht möglich, wie z.B. dass immer 50 % der maximalen Punkte zu vergeben sind, wenn die Durchführung der jeweiligen Baumaßnahme zwischen 11 und einschließlich 20 Jahren zurückliegt, oder analog 25 % der maximalen Punkte bei vor 21 bis 40 Jahren durchgeführten Maßnahmen bzw. 10 % bei 41 bis 60 Jahren.
Sie können die Punktevergabe je nach jeweils vorhandenen Objekteigenschaften und lokalen Marktgegebenheiten ggf. auch interpolieren; es wird aber bei von den Vorgaben der BMF-Arbeitshilfe abweichenden Eintragungen stets empfohlen, diese entweder zuvor mit den zuständigen Finanzbehördenmitarbeitern individuell abzustimmen oder alternativ einen Sachverständigen für die dafür notwendige Begründung explizit hinzuzuziehen.
von 4 Punkten
von 2 Punkten
von 2 Punkten
von 2 Punkten
von 4 Punkten
von 2 Punkten
von 2 Punkten
von 2 Punkten
Summe (Auf ganze Zahlen gerundet)
Gebäudealter

Achtung: Das Gebäudealter übersteigt die Gesamtnutzungsdauer, demzufolge wird für die Berechnung das Gebäudealter auf die Gesamtnutzungsdauer gesetzt.

Ergebnis

Restnutzungsdauer
(tatsächliche Nutzungsdauer, gerundet auf volle Jahre)
Jahre
Fiktives Baujahr

Berechnung

Formel zur Ermittlung der Restnutzungsdauer (siehe Anlage 2 ImmoWertV 2021)

Restnutzungsdauer = a * {Alter^2 \over Gesamtnutzungsdauer} - b * Alter + c * Gesamtnutzungsdauer

Das relative Alter wird nach der folgenden Formel ermittelt

Für die Variablen a, b und c sind die Werte der Tabelle zu verwenden. Dabei ist zu beachten, dass Modernisierungen erst ab einem bestimmten Alter der baulichen Anlagen Auswirkungen auf die Restnutzungsdauer haben. Aus diesem Grund ist die Formel in Abhängigkeit von der anzusetzenden Gesamtnutzungsdauer erst ab einem bestimmten Alter (relatives Alter) anwendbar.
Ansonsten gilt die Grundformel: Restnutzungsdauer = Gesamtnutzungsdauer - Gebäudealter (siehe Anlage 2 ImmoWertV 2021).

Moder­nisierungs­punkte a b c ab einem relativen Alter von
0 1,2500 2,6250 1,5250 60 %
1 1,2500 2,6250 1,5250 60 %
2 1,0767 2,2757 1,3878 55 %
3 0,9033 1,9263 1,2505 55 %
4 0,7300 1,5770 1,1133 40 %
5 0,6725 1,4578 1,0850 35 %
6 0,6150 1,3385 1,0567 30 %
7 0,5575 1,2193 1,0283 25 %
8 0,5000 1,1000 1,0000 20 %
9 0,4660 1,0270 0,9906 19 %
10 0,4320 0,9540 0,9811 18 %
11 0,3980 0,8810 0,9717 17 %
12 0,3640 0,8080 0,9622 16 %
13 0,3300 0,7350 0,9528 15 %
14 0,3040 0,6760 0,9506 14 %
15 0,2780 0,6170 0,9485 13 %
16 0,2520 0,5580 0,9463 12 %
17 0,2260 0,4990 0,9442 11 %
18 0,2000 0,4400 0,9420 10 %
19 0,2000 0,4400 0,9420 10 %
20 0,2000 0,4400 0,9420 10 %

1 BFH-Urteil vom 28. 07. 2021 – IX R 25/19 (BFH/NV 2022, 108, BeckRS 2021, 36809)
2 Siehe § 4 und § 12 Abs. 5 i.V.m. den Anlagen 1 und 2 ImmoWertV